johannes.wtf

2019-08-09 23:02

Das pooltische Spiel ist wichtiger als die Sachfrage, oder?

Johnson spielt klar und eindeutig mit dem Hard Brexit, sei es weil er es wirklich will oder weil er nicht am Rückzug schuld sein will.

Das eine Mehrheit in Westminster gegen einen Hard Brexit ist, ist auch recht offensichtlich.

Nur muss sich diese Mehrheit zusammen finden und ein gemeinsamen Weg definieren den deadlock aufzulösen und einen Premier zu bestimmen, der zur Queen fahren kann und eine Mehrheit hinter sich hat, um diesen Weg (Unterhauswahl mit Hoffnung auf klares Ergebnis? Neues Referendum? Mays Deal? Absage von Brexit? ...) zu gehen und bis spätestens 31. Oktober 22:59 British Summer Time in Brüssel vorstellig zu werden und Einstimmigkeit im EU-Rat für einen Vorschlag zu haben – unter Berücksichtigung, dass das Unterhaus bis Anfang September nicht tagt.

Das schwammige Prozedere hat mir auch geholfen, warum in britischen Medien immer betont wird, dass die EU eine "Rule-based Organization" sei: Das britische System, ohne konsolidierte Verfassung, basiert viel auf Konventionen. Da beruft man sich, wie es passt, auf Interpretationen, von Entscheidungen von vor 300 Jahren und trotz eines "Fixed Term Parliament Act" hat eine Regierung Spielraum und kann Recht weit walten und schalten.

Die EU hingegen hat ein fixes Regelwerk, wie Entscheidungen getroffen werden und wenn die getroffen wurden, dann sind die Fix. In der Praxis ist der faktische Ablauf auch nicht der geschriebene (-> Trilog) aber auch da geregelt und spätestens ab Entscheidung fix.

Übrigens: Wenn Deutschland in der Situation wäre, wäre es auch nicht so leicht den Kanzler los zu werden. Das geht nur per Konstruktivem Misstrauensvotum, d.h. jemand anders muss im Bundestag mit absoluter Mehrheit zum Nachfolger gewählt werden. Wenn sich "abtrünnige Abgeordnete" und Opposition auf keinen Nachfolger einigen können, dann bleibt der Kanzler im Amt bis zum Ende der Legislatur. Ein britischer Premier, hingegen muss immerhin auch nach unkonstruktiver Vertrauensabstimmung in angemessener Zeit Neuwahlen ausrufen. Andererseits kann ein Kanzler hier ohne Mehrheit auch nicht so leicht gewählt werden.

Eine "Snap Election" kann ein deutscher Kanzler nur ausrufen, wenn er die Vertrauensfrage stellt, diese verliert und der Bundespräsident den Bundestag auflöst. Letzteres muss er nicht machen. Gerhard Schröder hat auf diese Weise Neuwahlen provoziert, der Bundespräsident hat dem nur nach zögern zugestimmt und nach der Wahl gab es eine Kanzlerin. Ging noch mehr nach hinten los, als Theresa Mays snap election.