johannes.wtf
Das Stichwort Digitalisierung geht immer wieder rund und die Forderung "bei der Digitalisierung auf die Tube zu drücken" gibt es aller Orten.
Bei vernünftiger Digitalisierung geht es allerdings weniger, darum irgendwas mit Software zu machen, sondern Prozesse zu verstehen und zu definieren. Ist das geschehen, ist die Digitalisierung verhältnismäßig einfach und kann zu guten Ergebnissen führen. Ist die Analyse schlecht, kommt Murks dabei raus.
Da sich rein an den Begriff "Digitalisierung" zu klammern, ist offensichtlich falsch. Nahmen wir das triviale Beispiel:
Der Prozess, um eine Zahlung irgendeiner Art zu beantragen kann ganz einfach digitalisiert werden, in dem man sagt, dass der Antrag doch bitte per Mail eingereicht werden soll und dann per Mail zwischen den zuständigen Abteilungen ausgetauscht wird und dann per Mail die Entscheidung kommt. E-Mail ist digital, also ist der Prozess digital. Dies ist aber offensichtlich kaum ein Gewinn.
Die "richtige" Digitalisierung geschieht, wenn man den Prozess analysiert: Welche Daten müssen abgefragt werden, welche Stelle muss mit Blick auf welche Daten zustimmen, was sind die Abläufe? In der Umsetzung gibt es dann ein Formular, über das die Daten strukturiert erfasst werden, an die entsprechenden Stellen aufbereitet (also z.B. angereichert durch andere Daten interner Systeme) zur Entscheidung vorgelegt werden und der Prozess begleitet wird. So kann jede Stelle effizient arbeiten, da die jeweils wichtigen Informationen direkt sichtbar sind und Ergänzungen direkt am Prozess hängen.
Also erst analysieren und dann die technischen Möglichkeiten nutzen.
Nehmen wir ein konkretes Beispiel eines Prozesses: Um Corona-Infektionsketten zu unterbinden, will man Leute, die infiziert sein können, es aber noch nicht wissen warnen und zum testen oder in Quarantäne bringen.
Der einfache analoge Prozess ist es, dass man beim Betreten einer Lokalität eine Kontaktinformation (Adresse, Telefonnummer oder Mailadresse) auf eine Liste einträgt. Wenn man dann die Meldung erreicht, dass jemand "positives" dabei war, kann man allen anderen von der Liste eine Nachricht zukommen lassen.
Dieses Verfahren hat nun einige Probleme. Es skaliert nicht und ist ungenau, zudem entstehen Datensammlungen mit Informationen, die mehr oder minder vertraulich sind.
Es skaliert nicht, da viele lange Listen entstehen.
Es ist ungenau, da eine Liste am Eingang eines großen Kaufhauses quasi nichts bringt. Wenn die infizierte Person das Kaufhaus nur Mal schnell als Abkürzung nutzt um durchs Erdgeschoss geht auf die andere Gebäudeseite zu kommen, ist es recht unwahrscheinlich, dass sich jemand im vierten Stock angesteckt hat.
Jetzt kann man diese Prozess, ohne ausreichende Analyse und ohne Blick auf technische Möglichkeiten digitalisieren.
Statt sich in eine Liste einzutragen kann man einen QR Code scannen und sich darüber in eine Datenbank eintragen. Das macht den Prozess nicht wirklich besser. Es tauscht eventuell eine Reihe Papierlisten, mit sensitiven Daten, durch eine verschlüsselte Datenbank aus, was aber an grundsätzlichen Problemen nicht wirklich was löst.
Eine Alternative ist einen Schritt zurück zu treten und die Fragestellung anzusehen. Ziel einer solchen Maßnahme ist es zu erkennen, wenn verschiedene Personen sich in der Nähe zueinander aufhalten und diese zu warnen.
Die Aufgabe ist also nicht Leute, die sich im selben Geschäft aufhalten zu finden, sondern Leute, die in der Nähe sind. Der analoge Prozess war eine Notlösung mit den Mitteln, die analog zur Verfügung stehen. Die vernünftige Digitalisierung macht es anders. Ein Ansatz ist es die verschiedenen Sensoren von Mobiltelefonen, die die meisten Personen haben, zu nutzen. So kann man über "Bluetooth low energy" Signale aussenden und auf anderen Geräten empfangen. Über Mittel der Kryptographie kann man dies so machen, dass sich die Person nicht einfach wiedererkennen lässt. Dadurch gibt es keine Bewegungsprofile. Und da jedes Gerät die Daten bei sich speichert, auch keine zentrale Datenbank. Nur zum Warnen müssen die Codes des warnenden Gerätes über eine zentrale Stelle ausgesendet werden.
Die durchdachte Digitalisierung ist somit effizienter und datenschutzkonformer und erheblich komfortabler, da sie vollständig passiv im Hintergrund passiert.
Und ja, hier geht es auch darum, dass Luca schlecht ist und dass die Corona Warn App deutlich besser ist. Aber es geht auch darum, dass "Digitalisierung" nicht blindes übersetzen analoger Prozesse ist, sondern eine Analyse des Problemfeldes, Analyse der Abläufe und dann einer Umsetzung, die Vorteile bringt.
Schlechte Digitalisierung sehen wir aller Orten und die Einführung neuer IT-Systeme führt oft zu Aufschrei in den Fachabteilungen. Warum? Zum einen weil die Bedürfnisse oft nicht gut analysiert wurden. Zum anderen aber auch, da ein strukturierter Prozess einen in das Korsett des Prozesses zwängt.
Hoffen wir auf mehr gute Digitalisierung.
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