johannes.wtf
Beim Nachfolger für das 9€-Ticket wird viel über die Finanzierung geredet und ob es neun, neunundzwanzig oder neunundvierzig Euro kosten soll. Den Aspekt finde ich dabei aber nur bedingt interessant. Würde man wollen wäre es finanzierbar und welche Ebene, das am Ende macht ist eine Frage des Finanzausgleichs.
Den Aspekt den ich für wichtiger halte und der kaum diskutiert wird, ist die Zuständigkeit zur Gestaltung des Angebots und der Verteilung der Finanzmittel.
Derzeit liegt das Großteils, mit gewisser Variation über die Länder, bei den Gemeinden und Kreisen: Die Gemeinden und Kreise bestellen den Nahverkehr und entscheiden über Fahrpreise und somit die Finanzierung. Wenn ich bei mir in der Gemeinde mit den Leistungen also nicht zufrieden bin, kann ich zum Gemeinderat gehen und mich da beschweren und im Zweifel bei der nächsten Wahl dafür mobil machen, dass Leute in den Rat kommen, die Leistungen so anbieten, wie es mehr Sinn macht.
Natürlich hat so ein Gemeinderat begrenzte Mittel und wird eine Vielzahl an Projekten haben und abwägen müssen, ob es der Bus wirklich in dichterer Taktung braucht oder ob man doch die Schule renoviert. Aber der Gemeinderat kennt (hoffentlich) die Lage vor Ort und ist politisch erreichbar.
Geben wir als Gedankenexperiment von einem zentralen Ticket auf Bundesebene aus, wonder Bund dann entscheidet wie viel Geld wohin fließt, also welche Linien betrieben werden können: Da haben einzelne Bürger:innen kaum Einfluss. Wegen meines Dorfbusses werde ich keine Demonstration vor dem Bundesverkehrsministerium hinbekommen und werde nicht genug Stimmen bei der Bundestagswahl mit dem Projekt organisiert bekommen. Das Thema ist zu lokal.
Das Problem sehen wir ja mit der deutschen Bahn. Es gibt eine Vielzahl von Eisenbahnbrücken und anderen Bauwerken in Zuständigkeit der DB, die lokale Schandflecken sind. Die Bahn sagt "bahntechnisch ist da alles in Ordnung" und die Kommunen sagen "wir können nichts machen" Das ist eine ungünstige Zuständigkeit.
Was es braucht ist eine lokale Zuständigkeit, für lokale Dinge, gepaart mit der Möglichkeit zur Finanzierung.
Mit dem Neun-Euro-Ticket ist das nun kompliziert. Der Bedarf an Infrastruktur ist regional ziemlich unterschiedlich. MeckPomm als weites Flächenland muss mit Bahn und Bus weiter Flächen abdecken undnhatndansichelrich eine ganz andere Kostenstruktur, als München, Hamburg, Berlin mit starken Ballungsräumen mit dichten Netzen und Anbindung ans jeweilige Umland, was wiederum andere Strukturen hat, als der Ruhrpott, mit seinen verschiedenen Zentren und der Vernetzung.
Auch reicht eine reine Finanzierung nach Einwohnerzahl nicht. Manche Regionen ziehen Touristen an, da kommen Leute zu Besuch und brauchen Infrastruktur, zahlen aber nicht zur Bevölkerung, bei Bezahlung rein nach Bevölkerungszahl stehen die schlecht da. (z.B. Sylt 🤭)
Finanziert man nach gefahrener Strecke setzt man Anreize für Verkehrsnetze mit Umwegen. Nimmt man Fahrgäste in Betracht wird der Anschluss abgelegener Orte uninteressant.
Da ein System zu finden, dass diese ganze Kleinstaaterei der Verkehrsverbünde durchbricht, aber eine regional sinnvolle Angebotsgestaltung ermöglicht wird spannend.
Hinweise zu Diskussionen zu dem Themenkomplex, die über die reine Finanzierung hinaus schauen nehme ich sehr gerne an. Mir fehlt noch die Fantasie für ein Konzept, dass attraktiven ÖPNV in Stadt und Land fördert.
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