johannes.wtf

2025-05-10 02:14

Friedrich Merz ist etwas verspätet in die Kanzlerschaft gestartet. Ich habe am Dienstag nicht so ganz verstanden, wo das Problem war denke aber, dass ich das ganze Prozedere jetzt besser durchblicke.

Relevant ist Artikel 63 Grundgesetz, den ich hier im folgenden Absatzweise zitiere und kommentiere. So weit ich das verstanden habe, kann aber alles falsch interpretiert sein:

Art 63 (1) Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestage ohne Aussprache gewählt.

Das wichtige Element, was das von anderen Wahlen unterscheidet ist "auf Vorschlag das Bundespräsidenten." Bei anderen Wahlen, also der Wahl des Bundespräsidenten durch Bundesversammlung, das Bundestagspräsidenten oder Ministerpräsidenten in den Landtagen kommen die Vorschläge aus dem Gremium. Dementsprechend gibt es da ausformulierte Regeln, Verfahren und Praxiserfahrung wer wann wie Vorschläge machen kann und wie es zu weiteren Wahlgängen kommt. Der Vorschlag zur Kanzlerwahl kommt aber, zunächst, aus Bellevue.

So wurde Dienstag auch verfahren. Die Bundestagspräsidentin unterrichtet über den Wahlvorschlag und über den wird abgestimmt.

(2) Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt. Der Gewählte ist vom Bundespräsidenten zu ernennen.

Wichtig hier ist die Mehrheit der Abgeordneten. D.h. wer nicht da ist stimmt effektiv mit "Nein." Am Montag waren alle Koalitionsabgeordnete da, es fehlten aber 18 Stimmen zur Mehrheit. Merz war somit nicht gewählt.

Also geht es weiter:

(3) Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann der Bundestag binnen vierzehn Tagen nach dem Wahlgange mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler wählen.

Hier wird es spannend. Das Vorschlagsrecht wechselt. Plötzlich kann der Bundestag selber jemanden vorschlagen und wählen. Dazu gibt es in der Geschäftsordnung des Budnestags aber keine hinreichende Regelung. § 4 der GO sagt, dass geheim zu wählen ist und dass im Falle von Absatz 3 eine Vorschlag von einem Viertel der Abgeordneten kommen muss. Was fehlt sind Regeln zu Frist etc. und die Einladung zur Sitzung sah auch nicht vor, dass dort Vorschläge gemacht werden. Das ist bei der Wahl zum Bundestagspräsidenten nach § 2 der GO anders. Dort ist geregelt dass de Ältestenrat über weitere Wahlgänge entscheidet.

Am Dienstag stand man da also da und der einzige Weg den man sah, war dass da seinen "normalen" Antrag braucht um eine bestimmte Person zum Kanzler zu wählen. Also brauchte es einen Antrag von den CDU/CSU und SPD Fraktionen Friedrich Merz zum Kanzler zu wählen.

Damit aber nicht genug. Man war ja bereits in der Sitzung, da kann man nicht einfach neue Anträge aufnehmen. Das geht grundsätzlich nur vor Sitzung und in aller Regel nur mit drei Tagen Vorlauf, so dass Abgeordnete sich auf den Tagesordnungspunkt vorbereiten können.

Ausnahmen zur Fristverkürzung sind laut Geschäftsordnung möglich, brauchen aber ⅔ Mehrheit. Folglich mussten die Koalitionäre mit der demokratischen Opposition verhandeln, dass man diese Fristverkürzung macht. So konnte der Antrag dann noch in der selben Sitzung aufgerufen und abgestimmt werden und Friedrich Merz so zu Kanzler gewählt werden.

Was mich erstaunte: Dass das niemand auf dem Schirm hatte. Selbst in der Verwaltung, die ja die Geschäftsordnung Recht gut kennt, war man erstmal ahnungslos. Der Tagesspiegel schrieb, dass die einzige, die die Regel zur Fristverkürzung kannte Expräsidentin Bärbel Bas war.

Ich hätte erwartet, dass die Fraktionsgeschäftsführer, die Präsidentin und Verwaltung sich da alle aus eigenem Interesse auf die Eventualitäten vorbereiten. Das scheint aber bei allen unterlassen worden zu sein. Bei der Wahl des unbeliebtesten Kanzlers bislang, bei einem Koalitionsvertrag der aus allen Parteien harsche Kritik bekam, bei Mehrheit im Bundestag, die zwar okay aber nicht groß ist, mit einer großen Oppositionsfraktion deren primäres Ziel ist destruktiv zu sein, hätte man sich auch da besser vorbereiten müssen.

Aber gut, ich vermute, dass der Geschäftsordnungsausschuss und Ältesrenrat sich dessen annehmen und Reglen und zukünftige Verfahren schafft, so dass man sich bei künftigen Kanzlerwahlen auch entsprechend vorbereitet.

Für Merz selber wird das in ein paar Jahren nur noch ne kleine Anekdote sein. Dadurch dass die Wahl ja am selben Tag statt finden konnte und alle ernannt und vereidigt wurden, ist nicht wirklich was passiert

Aber zurück zum Thema. Der Artikel im Grundgesetz geht weiter:

(4) Kommt eine Wahl innerhalb dieser Frist nicht zustande, so findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält. Vereinigt der Gewählte die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich, so muß der Bundespräsident ihn binnen sieben Tagen nach der Wahl ernennen. Erreicht der Gewählte diese Mehrheit nicht, so hat der Bundespräsident binnen sieben Tagen entweder ihn zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen.

Das hat Regelungen wenn Absatz 3 fehlschlägt und gibt Regeln vor, die eine ewige Hängepartie vermeiden.

Der erste interessante Punkt dabei ist, dass es keine Frist in Form von Zahl der Wahlgänge gibt, sondern nach Zeit. Absatz drei gibt 14 Tage und dann in Absatz vier einen "unverzüglichen" Wahlgang.

Das bedeutet, dass das Verfahren nach Absatz 3 innerhalb der Frist beliebig oft wiederholt werden kann. Da könnte man 600 Wahlgänge durchführen, um zu sehen, ob jemand die "Kanzlermehrheit" findet.

Fehlt auch die im finalen Wahlgang, so entscheidet der Budnespräsident, ob eine einfache Mehrheit stabil genug ist oder nicht. Wenn nicht gibt es Neuwahl.

Was da interessant ist: Nach dem ersten Wahlgang gibt es eine Frist. Es gibt allerdings keine Frist, wie lange der Bundespräsident hat um einen Vorschlag zu machen. Nach der Wahl zum 19. Bundestag im September 2017 dauerte es z.B. bis März 2018 bis eine Wahl von Angela Merkel zu ihrer vierten Periode angesetzt wurde.